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Hans Erasmus

Das Sprachenproblem in Europa

Resumo

La lingvoproblemo en Eŭropo

Kvankam la lingvoproblemo en la Eŭropa Unio estas grava, la politikistoj, entreprenistoj kaj civitanoj ne serioze okupiģas pri ĝi, almenaŭ ili ne analizas la fenomenon ĝisfunde. La socio akceptas la situacion kiu reflektas la influon de la plej fortaj agantoj. La angla lingvo pli kaj pli gajnas terenon kaj tiuj, kiuj ludas gvidan rolon en la socio, ne zorgas pri demandoj ĉu tiu disvolvigo kongruas kun politike akceptitaj principoj aŭ vidpunktoj kiel: egaleco, lingva kaj kultura diverseco, (lingvaj) homaj rajtoj, efikeco ktp. La aŭtoro pledas por organizo de ĝisfunda diskuto je europa nivelo laŭ nova proceduro. Proceduro, kiun funkciuloj de ministerioj kaj entreprenistoj pli kaj pli uzas por solvi komplikajn problemojn. La autoro mem enkondukis tian proceduron ene de la Eŭropa Komisiono kadre de mediprotektado. Estas tiel nomata `interaktiva' proceduro. Laborgrupo, kiu konsistas el reprezentantoj de ĉiuj tavoloj de la socio (je alta nivelo), difinas la problemon, kompilas informdokumenton kun faktoj kaj ciferoj, analizas kaj kompilas dokumenton kiu entenas elekteblecojn por solvi la problemon. Finfine oni elektas solvon aŭ solvojn. Tiamaniere eblas ankaŭ pritrakti, pli detale kaj ĝisfunde, ĉiujn aspektojn, eblojn kaj perspektivojn de Esperanto.

Abstract

The Language Problem in the European Union

Although the language problem in the European Union is an important one, politicians, commercial and industrial leaders, and the general public are not seriously concerned about it, or at least do not analyse the phenomenon in any depth. There is widespread acceptance of the increasing dominance of English, whether or not this development accords with politically accepted principles or views such as equality, language and cultural diversity, human (and language) rights, efficiency, etc. The author argues for organizing a European-wide in-depth discussion on language policy, based on the so-called interactive process which the author himself introduced within the European Commission in support of environmental policy-making. A working-group consisting of high-powered representatives of all strata of society defines the problem, drafts an information document full of facts and figures, makes an analysis, and drafts an option document containing various possible solutions. Finally the working group makes a choice or choices. In this way it would also be possible, in more detail and greater depth, to tackle all the aspects, possibilities and prospects of Esperanto.

1 Der Begriff ,Sprachenproblem'

Besser könnte man von Kommunikationsproblemen sprechen. Ein Kommunikationsproblem kann sowohl zwischen Sprechern einer Sprachgemeinschaft auftreten als auch zwischen Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren und dadurch Verständigungsprobleme haben und den anderen nicht oder sogar völlig falsch begreifen. Meistens spricht man in diesem Sinne von dem (internationalen) Sprachenproblem, ein Terminus, den man erst seit dem letzten Jahrzehnt häufig benutzt.

2 Verständnis des Sprachenproblems

Auf der einen Seite weiß man wohl, dass mit der ständig wachsenden Internationalisierung der Gesellschaft die Kommunikation schwieriger wird, auf der anderen Seite geht man jedoch sorglos mit dieser Frage um, frei nach dem Motto: das Problem wird sich in der Praxis von selbst lösen; oder: wir haben doch Englisch als internationale Sprache. Aber ein tiefergehendes Verständnis aller Aspekte und Konsequenzen besteht bei nur wenigen. Was bedeutet es in ökonomischer und kultureller Hinsicht, seine eigene Sprache nicht sprechen zu können? Welche Vorteile hat derjenige, der in seiner eigenen Sprache sprechen kann gegenüber demjenigen, der das nicht kann; kann man hier von Diskriminierung und Widerspruch zu einem der Menschenrechte sprechen und wenn ja, warum wird dann nicht lauthals protestiert oder warum werden keine Aktionen durchgeführt, so wie es z.B. der Fall ist, wenn es um Rassendiskriminierung geht?

Das Sprachenproblem kommt bei fast allen internationalen Einrichtungen, Betrieben oder der Wissenschaft vor. Am Bürger geht dieses Problem größtenteils vorbei, d.h. es wird als etwas Selbstverständliches, ja fast Unvermeidliches erfahren. In diplomatischen Kreisen sprachen die Vertreter der Länder lange Zeit Französisch, danach immer häufiger Englisch. Diplomaten und Vertreter von internationalen Einrichtungen, aber auch Wissenschaftler, werden dazu ausgebildet, internationale Kontakte zu knüpfen. Auch in der Wirtschaft spricht man mehrere Sprachen und greift auf Übersetzer zurück, sicherlich in Ländern mit einer kleinen Sprachgemeinschaft. Das Hemmnis, das man dabei erfährt, wird auch hier als etwas fast Selbstverständliches akzeptiert, ebenso wie die Extra-Kosten, die daran gebunden sind. Es sind Prozesse, die sich in gefestigter Ordnung abspielen. Das war immer so. Man vertritt ein Land oder eine Organisation, und je nach Machtposition, die das Land oder die Organisation auf internationaler Ebene innehat, spricht man entweder die eigene (nationale) Sprache oder die (nationale) Sprache des anderen, oder auch eine von beiden Parteien erlernte Sprache.

Immer wieder muss man neu abwägen: Welche Sprache gebrauche ich in der internationalen Kommunikation, mit der ich zu tun habe. Die Möglichkeiten sind begrenzt. Diese Begrenzung beruht auf einer historisch gewachsenen Situation, die vor allem durch die Regierungen bestimmt wurde. Schließlich hatten in der ersten Phase der Europäischen Union die sechs Teilnehmerländer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1950) bestimmt, dass neben dem diplomatischen Sprachgebrauch fortan bei ihren Kontakten nur die vier in den Teilnehmerländern als offiziell anerkannten Sprachen verwendet werden sollten: Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (1958) hatte diese Sichtweise übernommen. Die Gleichwertigkeit von Sprachen wurde vertraglich festgelegt, und jedes Mal wurden bei einer Erweiterung eine oder mehrere Sprachen hinzugefügt. Momentan sind in der Europäischen Union 11 offizielle Arbeitssprachen vertreten. Bei einer Fortsetzung des Erweiterungsprozesses und für den Fall, dass man an dem Prinzip des Einsatzes der Landessprache als Arbeitssprache festhält, muss in Zukunft mit 20 oder mehr Sprachen gerechnet werden. Aber von einer Gleichwertigkeit ist in der Praxis schon lange keine Rede mehr. Die ökonomische und kulturelle Machtposition bestimmt in der Praxis das Sprachregime.1 Hierauf wird im Bildungsbereich der Sprachunterricht abgestimmt.

3 Der ,interaktive Prozess'

In den letzten Jahren sind verschiedene gesetzesvorbereitende Prozesse eingeführt worden, deren vorrangiges Ziel es ist, den Betroffenen deutlich zu machen, dass eine gründliche Studie und eine gemeinsame Formulierung dieses Problems eine Voraussetzung dafür sind, komplizierte, vielschichtige Probleme zu lösen. Die Formulierung des Problems muss gleichzeitig mit einer gründlichen Informationsbeschaffung über aller Aspekte des betreffenden Themas oder Problems verknüpft sein. Mit anderen Worten: Ein kompliziertes Problem muss man erst gemeinsam gut beschreiben. Anschließend müssen die Betroffenen das Problem miteinander analysieren und anhand der erworbenen Erkenntnisse der vorangegangenen Phasen nach Lösungen suchen. Betroffen sind all diejenigen, die aus unterschiedlichen Beweggründen mit dem Thema zu tun haben. In der Praxis kann das bedeuten, dass vielleicht schon mehrere hundert oder tausend Menschen an so einem gesetzesvorbereitenden Prozess teilnehmen sollten, um eine möglichst breite und starke Grundlage zu schaffen und alle Aspekte zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Wenn wir über das Sprachenproblem in Europa sprechen, wer sind dann die Betroffenen? In willkürlicher Reihenfolge sind das: internationale Einrichtungen, Regierungsvertreter, politische Gruppierungen, nichtstaatliche Organisationen, Parlamentarier, die Wirtschaft (Produzenten, Spediteure, Händler, der Dienstleistungssektor usw.), Wissenschaftler und Konsumenten, also mit anderen Worten: der einfache Bürger. Zahlenmäßig sind die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, nichtstaatliche Organisationen und Konsumenten viel größer (und vielleicht vertreten sie ein noch größeres Interesse) als die anderen Erwähnten. Aber wie bereits gesagt, hat hauptsächlich die historisch gewachsene Entwicklung den Eindruck vermittelt, als ginge es bei dem Sprachenproblem vor allem um internationale Einrichtungen wie den Europarat, die Europäische Union usw.

4 Ein denkbares Projekt

Ist bezüglich des Sprachenproblems die Anwendung des soeben beschriebenen Prozesses realisierbar? Wenn wir uns auf die Länder der Europäischen Union beschränken, dann könnte eine Projektgruppe errichtet werden, in der Menschen aus allen Bereichen sitzen, in denen das internationale Sprachenproblem eine Rolle spielt, u.a. den oben genannten Gruppierungen. Um die Projektgruppe übersichtlich zu halten, muss man eine Kerngruppe von maximal 50 bis 100 Personen bilden. Diese kann Teil einer größeren Gruppe sein von z.B. 1000 oder mehr Personen, die ständig über den Fortschritt der Kerngruppe unterrichtet wird und auch aufgefordert ist, regelmäßig Rückmeldung zu geben. Es muss ein offener Prozess sein, wo man gänzlich auf moderne Medien wie Internet zurückgreifen kann. Diese europäische Kerngruppe kartiert das Sprachenproblem mit all seinen Aspekten und veröffentlicht die Ergebnisse ausführlich und intensiv in so vielen europäischen Sprachen wie möglich, d.h. mindestens in den 11 offiziellen Sprachen, aber auch in möglichst vielen regionalen Sprachen, um die Breitenwirkung zu erhöhen. Dafür muss man sich ausführlich Zeit nehmen, sodass jede betroffene Gruppierung die Gelegenheit bekommt, sich einzubringen. Sie muss letztendlich auch gefragt werden können, ob sie der Definition des Sprachenproblems zustimmt, sowie der Beschreibung all seiner Facetten, der Analyse, der verschiedenen Wahlmöglichkeiten, Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Es muss eine breite Basis geschaffen werden.

Die Projektgruppe muss unter der Führung von Personen stehen, die eine neutrale Position innehaben und mit der Leitung derartiger Projekte Erfahrung besitzen. Nachdem die Projektgruppe einen soliden Bericht über die Problemstellung und die Fakten vorgelegt hat, bereitet sie einen Analysebericht vor. Darin wird die heutige Entwicklung und die tatsächliche Situation an europäischen politischen Standpunkten und allgemein akzeptierten Prinzipien getestet. Diese sind: das Gleichheitsprinzip, die Sprachenvielfalt und kulturelle Diversität, Antidiskriminierung sowie im Allgemeinen die Bestimmungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte, Effizienz, Transparenz, Europäische Dimension, Mehrsprachigkeit, Stellung der 'nationalen' Sprachen gegenüber von anderen in Europa gebrauchten Sprachen und Ähnliches. Tendenzen müssen analysiert und Perspektiven aufgezeichnet werden. Es muss die Basis geschaffen werden für einen Bericht mit verschiedenen Optionen. In diesem Optionsbericht müssen Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, auf deren Grundlage ein endgültiger Vorschlag gemacht werden kann, der in einem Bericht mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen festgehalten wird.

5 Plansprache und Esperanto

Unter Anwendung des oben beschriebenen Prozesses sollte gleichzeitig geprüft werden, welche Rolle eine internationale Plansprache und im besonderen die bekannteste, das Esperanto, spielen könnte. Wenn man bezüglich des Esperanto einigermaßen auf dem Laufenden ist, wundert man sich immer wieder, wie in verschieden Kreisen, auch in linguistischen Kreisen, schnell ein (meist negatives) Urteil über das Esperanto gefällt wird. Das Bild rund um Esperanto ist dermaßen schlecht, dass das Thema häufig selbst in einer 'normalen' Diskussion nicht gut besprochen werden kann. Vor einigen Jahren hat Claude Piron2 in einem Vortrag eine interessante Analyse über die Widerstände gegenüber dem Esperanto durchgeführt mit dem Titel. Psychologische Aspekte des Weltsprachenproblems und Esperanto. Die von ihm beschriebenen Faktoren, auch die nicht unmittelbar sichtbaren, wie Angst, Unverständnis der Umgebung, unbewusster Widerstand u.ä., sollten genau in diesem Projekt sichtbar gemacht werden können.

6 Schlussbemerkung

Selbstverständlich kann ein solches Projekt nur realisiert werden, wenn bei allen betroffenen Parteien der Wille vorhanden ist, es zu starten. Es hat sich gezeigt, dass Machtpositionen und `Kultur` solchen objektiven und rationalen Prozessen im Weg stehen. Es ist daher wichtig, von Anfang an auf höchstem Niveau alle betroffenen Parteien aktiv zu beteiligen und so im Prozess fest zu verankern. Alle benötigten Geldmittel müssen im Voraus zur Verfügung gestellt werden, und die Organisation muss ebenfalls zusammen mit einem Zeitplan von Anfang an bis ins Detail geregelt sein.

Detlev Blanke scheint in jedem Fall ein ausgezeichneter Kandidat zu sein, der das notwendige Wissen besitzt, um den besonderen Gegenstand `Plansprache` in einer solchen Projektgruppe zu vertreten.3

(Text übersetzt von Dorle Kampmann)

1 Auch innerhalb einer anderen europäischen Einrichtung, dem Europarat in Straßburg, ist das der Fall. Als Anlage finden Sie die Vorderseite eines Dokumentes in Englisch von der parlamentarischen Vollversammlung des Europarates. Der Rat kennt zwei offizielle Sprachen: Englisch und Französisch. Andere Sprachen können auf eigene Kosten verwendet werden! Der Rat kennt gegenwärtig 41 Mitgliedsstaaten mit dutzenden nationalen Sprachen und noch mehr regionalen Sprachen. Mit einer solchen Vorderseite werden die Mitglieder der Vollversammlung unvermeidlich bei jeder neuen Sitzung erneut konfrontiert. Es gibt ein gutes Bild von der Art und dem Umfang des Sprachenproblems, ohne dass die Mitglieder sich darüber wahrscheinlich ausreichend im Klaren sind. Faktisch ist das akzeptierte Diskriminierung.

2 Veröffentlichung in den Ausgaben von April und Mai 1998 der in der Schweiz herausgegebenen Zeitschrift Heroldo de Esperanto. Claude Piron war Übersetzer bei der Weltgesundheitsorganisation und ist heute Psychotherapeut in Genf.

3 In diesem Beitrag wurde von einer Bibliographie abgesehen, da viele Informationen allgemein bekannt sind. Eine Ausnahme wird für die Beschreibung des interaktiven Prozesses gemacht. Folgende Titel werden genannt: