Werner Bormann
Verschiebungen im Machtgefüge
Resumo
Ŝanĝiĝoj en la dispartigo de potencoj
La pledantoj por neŭtrala interkomprenilo staras antaŭ la fakto, ke etna lingvo nun okupas la pozicion, pri kiu ili esperis. La angla estas mondlingvo reala, Esperanto mondlingvo esperanta. La elstara signifo de la angla estas firme ligita al la unuarangeco de la monda potenco Usono. Sed la Eŭropa Unio havas la kapablon defii Usonon, kiel ĝi jam faras tion en komerco kaj ekonomio. Eŭropo akcentas pli kaj pli sian propran vojon en aferoj de la socio, en moderna vivmaniero kaj en sporto. Eĉ en kulturo Eŭropo troviĝas en klopodoj por egaliĝo. Kontraŭe al tio Eŭropo malfacile akcentas siajn proprajn eblojn en sciencoj kaj universitatoj. Kiam en aliaj kampoj sinkas la angla (Usona) dominado kaj solvoj propraj al Eŭropo estas preferataj, tiam tio povus ankaŭ validi por la angla lingvo. Se ĝi perdus sian hegemonion, tio estigus novajn ŝancojn por neŭtralaj solvoj, unuavice (pro ĝia elproviteco) por Esperanto. Tamen, ankaŭ povus esti, ke pluraj memstaraj potenccentroj en la mondo aplikos la saman lingvon, la anglan. Same kolonioj ofte pluuzis la lingvon de la forpelitaj mastroj.
Abstract
Changes in the Balance of Power: Linguistic Implications
Those who put forward the idea of a neutral common language are confronted by the fact that a national language currently fulfils the role they have in mind. English is a world language in reality, Esperanto a world language only potentially. The huge importance of English is firmly linked to the dominance of the United States as a world power. However, the European Union has the capability to challenge the United States, as it is already doing in world trade and economic affairs. Increasingly the EU is adopting its own direction in social affairs, lifestyle, sport and cultural affairs, even though the U.S. retains greater prestige in scientific fields and in the universities. The waning domination of the U.S. suggests that similar developments could occur in the field of language. If English were to lose its hegemony, that would provide new opportunities for neutral solutions, especially (because it is tried and tested) for Esperanto. On the other hand, as has happened in many newly independent countries, English might continue to be widely used even under different political and social circumstances.
Die Gegenwart ist gekennzeichnet durch grundlegende Veränderungen in der Bedeutung der großen Machtzentren der Welt. Mit den Umwälzungen in Osteuropa, ein augenfälliger Höhepunkt 1989: der Fall der Berliner Mauer, hat sich ein neues Bild von der Welt ergeben, in dem die USA die entscheidende Rolle spielen. Damit ist auch ihre Sprache Englisch zum vorherrschenden internationalen Verständigungsmittel geworden. Englisch ist die Weltsprache de facto. Diese Entwicklung muss die Vertreter einer anderen internationalen Sprache aufhorchen lassen: des Esperanto. Es ist Weltsprache in spe. Hier besteht also eine Konkurrenzsituation, wobei die Teilnehmer an diesem Wettbewerb quantitativ auf sehr unterschiedlichem Niveau stehen. Dies alles zu beobachten und zu erforschen ist die wissenschaftliche Aufgabe der Interlinguistik.
Ein wesentlicher Forschungsgegenstand der Interlinguistik - von der dieses Buch handelt - sind Plansprachen. Dabei handelt es sich um erarbeitete Sprachen zur weltweiten Verständigung mit einem neutralen Ausdrucksmittel, das niemanden bevorzugt. Lange Zeit war die Interlinguistik nur diesen Sprachen gewidmet. Schon die früheste und bis heute wichtig gebliebene Definition der Interlinguistik von Otto Jespersen (1929) verlegte sie in die Richtung der Plansprachenwissenschaft.
Später wurde dann klar, dass eine so eingeengte Festlegung nicht der ganzen Breite des Problems Genüge tut. In seinem grundlegenden Werk zur Interlinguistik hat der Jubilar, Detlev Blanke (1985), als kennzeichnende Stichworte der Interlinguistik aufgereiht: Plansprachen - internationale sprachliche Kommunikation - Sprachkontakte. Damit werden auch politische und gesellschaftliche Elemente in die Betrachtung eingeführt. Dieser breit angelegten Festlegung folgt auch die Gesellschaft für Interlinguistik e.V.
Eugen Wüster hat für konstruierte Sprachen den Begriff Plansprachen eingeführt. Zwar ist "Die Suche nach der vollkommenen Sprache" (Umberto Eco, 1993) ein über tausend Jahre altes Anliegen. Aber sprechbare Plansprachen gibt es erst ab 1879, als Volapük vorgeschlagen wurde. Zu kleinen Kreisen von Anhängern gelangten Volapük, Ido (1907) und Interlingua (1951), während Esperanto (1887) eine beachtliche Durchsetzungskraft entwickelte und zu einer wirklich angewandten Sprache wurde.
Die Zahl der Anwender von Plansprachen (des Esperanto) und die öffentliche Meinung über solche Sprachen unterliegen Veränderungen im Zeitablauf. Auf Blütezeiten folgen Niedergänge, manchmal auch durch äußere Ereignisse bewirkt, so die Plansprachenverbote durch Stalin und Hitler. Danach ging es dann wieder aufwärts. Einer guten Stellung erfreuten sich Plansprachen in Zeiten der Konkurrenz unter mehreren bedeutenden Ethnosprachen, wo dann die Idee einer neutralen Verständigung durch eine Plansprache auf offene Ohren stieß. Das war die Lage noch vor einem runden Dutzend Jahren, als Englisch und Russisch die Weltmachtsprachen waren und Französisch die Sprache des zusammenwachsenden Europas. Da konnte jedermann sich vorstellen, dass eine annehmbare Lösung für die eine Verständigungssprache am ehesten aus dem Bereich der Plansprachen kommen würde.
Das Bild der Welt hat sich radikal verändert. Mit Russlands Problemen ist die Bedeutung seiner Sprache im Ausland ganz erheblich zurückgegangen. In der Europäischen Union steht Französisch unter großem Druck. Es gibt nur noch eine Weltmacht, die USA, und ihre Sprache wird überall genutzt. Englisch ist die allein dominierende Weltsprache. Seine Stellung wird laufend noch verfestigt, u.a. durch entsprechende Maßnahmen der Schulministerien, dies gerade auch in den deutschen Bundesländern, und in den Universitäten überall in der Welt. Der Traum der Esperantisten, dass jeder Mensch sich, wo auch immer, mit nur einer Sprache verständigen können soll, wird seiner Verwirklichung immer näher getrieben, bloß ist das Mittel der Verständigung eben nicht die Plansprache, sondern das Englische.
Seine Kenntnis ist gegliedert. An der Spitze stehen die Muttersprachler. Ihnen nahe sind die ständigen Anwender, z.B. Diplomaten, Manager internationaler Firmen, EU-Beamte in Brüssel usw. Dann erst kommen die gelegentlichen Benutzer der Fremdsprache, die auf ihrem Schulwissen aufbauen. Schließlich gibt es dann viele Menschen mit einem einfachen Englisch. Wegen der bei vielen Ausländern eingeschränkten Beherrschung der Fremdsprache spricht man oft von einem "Euro-English". Und nicht zu vergessen: die Massen, die überhaupt keine Fremdsprache können. Diese "Klassengesellschaft" entspricht nicht den Vorstellungen der Befürworter einer Plansprache, die ja leicht erlernbar und damit für jeden zugänglich ist.
Der Umfang der Englisch-Kenntnisse ist zur Zeit so erdrückend groß, dass die Befürworter von Plansprachen, und konkret die Esperantisten, sich die Frage nach den verbleibenden Chancen ihres Anliegens stellen müssen. Ist Esperanto schon Vergangenheit? War es ein interessanter Versuch des 20. Jahrhunderts, der mit dem neuen Jahrhundert abgeschlossen ist? Hat Esperanto ein Potenzial, das es im Wettbewerb auf dem Weltsprachenmarkt einsetzen kann im Bemühen um Platz 1 unter den Verständigungsmitteln, zwischen Englisch und Esperanto?
Die Beantwortung der Frage nach den Perspektiven einerseits des Englischen und damit anderseits einer Plansprache (Esperanto) lässt sich nicht finden auf allein der Grundlage sprachwissenschaftlicher Überlegungen. Weil Sprachdominanz in eine Weltmachtstellung eingebettet ist, muss zuerst über diese nachgedacht werden, also in breiteren Dimensionen als nur über die Sprache. Auch das ist noch eine interlinguistische Betrachtung, weil ja die Interlinguistik in ihrer modernen Definition ebenfalls sozialwissenschaftliche Ansätze enthält. Dazu zählen die Politik (Sprachpolitik, Sprachenpolitik) und weitere gesellschaftliche Phänomene.
Die Frage ist es deshalb, ob sich nicht nur im Bereich Sprache, sondern ob sich auch in weiteren Feldern andere Kräfte neben den Mächtigen schieben. Damit würde sich dann die Stellung der Übermacht relativieren. Für die Beobachter, die die Spitzenstellung der Sprache der USA in der ganzen Welt als bedrückend empfinden, hat deshalb die Frage eine große Bedeutung, ob der Vorrang der USA auf anderen Gebieten als der Sprache beeinträchtigt werden wird.
Eine Vorfrage ist, wer denn im Wettbewerb gegen die USA antreten soll. Weil die Vereinigten Staaten so stark sind, kann sich das nur ein mächtiger Mitspieler auf dem Weltmarkt erlauben. Dass es den gibt, ist also die Vorbedingung. Es ist bei den gegenwärtigen Bedingungen auf dem Globus kein Staat vorstellbar, der sich neben die USA setzen könnte. Aber in Europa haben viele Staaten sich zusammengetan zur Europäischen Union, zur EU. Diese Union hat die Möglichkeiten, zum Wettbewerber heranzuwachsen. Schon jetzt sind die USA und die EU auf vielen Gebieten parallel aktiv. Dies ist ein Zeichen für eine Vielfalt der Möglichkeiten. Vielleicht gibt es damit eines Tages auch eine Vielfalt der Sprachen im internationalen Gebrauch.
Es ist erst wenige Jahre her, dass mit der Sowjetunion der Gegenspieler der USA abgetreten ist. Danach gab es in einer Spitzenstellung nur die USA. Diese Lage besteht zwar weiterhin, aber es ist doch schon zu bemerken, dass es mehr Zentren auf der Welt als nur das eine in Nordamerika gibt. Denn es ist zu sehen, dass die Europäische Union sich anschickt, die Rolle des Rivalen zu übernehmen. Wie jeder Wettbewerb, z. B. im Wirtschaftsleben auf den Märkten oder im Wettstreit der demokratischen Parteien um die Zustimmung der Wähler, ist auch das Streben sowohl der USA als auch der EU ein positives Element in der Entwicklung.
Der "Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit" im Auswärtigen Amt Deutschlands, Karsten Voigt, sieht "Europa und Amerika heute durch gemeinsame weltweite Interessen ... enger denn je verbunden. Die Wirtschaftsstrukturen auf beiden Seiten des Atlantiks ergänzen sich." Es gibt "eine neue euroatlantische Gemeinschaft, die global zu einem wichtigen, wenn nicht sogar weltweit dominierenden Faktor demokratischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität werden könnte." "Ein Auseinanderdriften von Europa und Amerika ... besteht nicht," schreibt er in der Europäischen Zeitung (Mai 2000).
Das ist richtig. Ein verbindender Vertrag Europas mit den USA, die NATO, bezieht sich auf eine "Wertegemeinschaft". In der Tat, die Bürger der EU und die Bürger der USA stützen sich auf dieselben Werte, auf Freiheit, Demokratie und individuelle Menschenrechte gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen. Das Erringen von Positionen im Wettbewerb zwischen den USA und der EU beeinträchtigt die gemeinsamen Werte nicht. Trotzdem sind unterschiedliche Meinungen feststellbar, aus denen eine jeweils unterschiedliche Reihung in der Bedeutung herausgelesen werden kann. Beides, Wettbewerb und Übereinstimmung, ist also miteinander vereinbar.
Ein deutlich hervortretendes Gebiet aktuellen Wettbewerbs besteht im Welthandel. Jedes Land bemüht sich um Exporte zur Ausweitung seines Absatzes. Die großen Exportnationen sind die USA, Deutschland und Japan, wobei mal dieses mal jenes Land führt. Deutschland ist Teil der EU, sein Außenhandel ist - soweit er EU-Länder betrifft - eher schon Binnenhandel. Im Außenhandel besteht also keine dominierende Stellung der USA. Sie können sich auch mit einigen für sie wichtigen Anschauungen gegen die Europäer nicht durchsetzen, z. B. bei Fleisch von hormonbehandelten Tieren ("Hormonkälber"), bei genmanipulierten Pflanzen ("Gen-Soja") usw. Jeder deutsche Zeitungsleser kennt diese Beispiele.
Auch in der Welt der Produkte steht die Wirtschaft der USA nicht unbestritten da. Dies gilt gerade für die Hochtechnologie. Den Weltmarkt für Flugzeuge teilen sich die USA (Boeing) und die EU (Airbus). In den Weltraumaktivitäten ist zwar das staatliche Engagement der USA stärker als das europäische, aber im Geschäft mit Satelliten und deren Raketen steht die europäische Ariane besser da als die amerikanischen Modelle. Die Europäer setzen jetzt neben die NASA ihre European Aeronautic Defence and Space Company EADS. Viele Produkte aus anderen Ländern als den USA finden sich in allen Märkten: Autos aus der EU (Deutschland, Frankreich, Italien), Schiffe aus Korea, Mode aus Paris und Mailand usw.
Zur Wirtschaft gehören auch internationale Organisationen. Als jüngst der Chefposten des Internationalen Währungsfonds neu zu besetzen war, entspann sich ein intensiver Streit zwischen den USA und Deutschland, das von anderen EU-Staaten voll unterstützt wurde. Die USA lehnten den erstbenannten deutschen Kandidaten ab und die EU konnte noch keinen personellen Erfolg verbuchen. Beim zweiten Kandidaten sahen die USA ein, dass sie den Bogen nicht überspannen können, und sie akzeptierten den europäischen (deutschen) Vorschlag. Damit mussten sie zugleich eine entwicklungspolitische Linie billigen, die sie an sich nicht wollten. Die USA wollen nämlich Leistungen an Entwicklungsländer zurückführen und sie hoffen auf eine Steigerung der Eigeninitiative der Dritten Welt. Hingegen wollen die Europäer die Entwicklungshilfe zielgerechter bündeln und sie in diesem Rahmen verstärken. Nun wird eine so wichtige Institution wie der Internationale Währungsfonds eine europäisch ausgerichtete Dritte-Welt-Politik machen. Die USA können sich eben nicht überall durchsetzen.
Wesentliches Element der Wirtschaft ist das Geld. Jahrzehntelang war der Dollar die Weltwährung, das Geld, in dem überall Rechnungen ausgestellt und in dem der Zahlungsverkehr weltweit abgewickelt wurde. In Europa vergaben die Banken in der Nachkriegszeit Dollarkredite, sie waren also geldschöpferisch tätig trotz des Monopols der US-amerikanischen Zentralbank. Man nannte dieses Kunstprodukt den "Eurodollar". Er ist inzwischen verschwunden. Europa und die Währungen der EU-Staaten haben ihre eigene Stellung in den Finanzmärkten. Von Bedeutung sind das britische Pfund, die Deutsche Mark und der japanische Yen. Allerdings können sie den Rang des Dollar nicht erreichen.
Jetzt beginnt die Lage sich zu verändern. Die EU (vorerst ein Teil ihrer Mitglieder, elf Staaten) hat sich ihre einheitliche Währung, den Euro, geschaffen mit der Absicht und dem Potenzial zu weltweitem Gebrauch. Der Euro stellt sich neben den Dollar. Er ist Binnenwährung in einem sehr großen Markt von demnächst sogar zwölf Ländern in Europa (mit Griechenland). Als Binnenwährung hat er sich mit seiner Geldwertstabilität gut bewährt und in Europa keine Inflation zugelassen, auch nicht in Euro-Ländern, die früher unter dieser ökonomischen Krankheit gelitten hatten. Der Euro wird ebenfalls im Außenhandel benutzt. Da sorgt er im großen Euro-Raum ebenfalls für Stabilität. Außerhalb dieses Raumes, also z.B. in den USA, leidet er unter einer schlechten wirtschaftlichen Lage in manchen europäischen Staaten, allen voran durch die vielen Probleme, vor denen Deutschland steht und die zu lösen ihm so furchtbar schwer fällt. In den Augen internationaler Geldanleger sind die USA zukunftssicherer als die EU. Dieser Rückstand Europas muss, er wird aufgeholt werden. Die weitere Entwicklung der Volkswirtschaften diesseits und jenseits des Atlantiks wird die eingeschränkte Bedeutung des Dollar durch das Erscheinen seines Konkurrenten, des Euro, noch deutlich offen legen.
Ein Ziel des Euro ist seine Benutzung im Außenhandel, dass also die Unternehmen in der EU ihre Waren verkaufen können mit Rechnungen und damit Gelderhalt in ihrer eigenen europäischen Währung Euro. Damit wird das teure Währungsrisiko abgeschafft. Zweites Ziel ist es, eine Währung für Geldanlagen zu werden. Wer irgendwo auf der Welt eine sichere und zukunftsträchtige Geldanlage sucht, kann sich am Wachstum der europäischen Wirtschaft beteiligen und in € investieren. Nach einer Eingewöhnungsphase wird dies auch geschehen, weil die Zukunftsaussichten der EU-Wirtschaft gut sind. Die Vorherrschaft des Dollar wird durch den Euro schrittweise abgebaut.
Ein drittes Gebiet neben der Wirtschaft und den Währungen, in dem die bis dato alleinige Spitzenstellung der USA jetzt durch die EU angegangen wird, ist der militärische Sektor. Von großer Bedeutung ist hier die NATO, in der die USA praktisch allein das Sagen haben. Da es in sicherheitspolitischen Angelegenheiten auf Stärke ankommt, gibt die nun einmal bestehende Führungsrolle einer sehr starken Macht allen Beteiligten ein Gefühl der Sicherheit. Trotzdem haben die Europäer ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass auch sie in der Lage sein müssten, selbst für Frieden zu sorgen, zumindest im eigenen Kontinent, in Europa. Die Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien haben dies gelehrt.
Es gibt schon seit 1954 die Westeuropäische Union (WEU) als örtlich begrenztes Verteidigungsbündnis, allerdings ohne wesentliche Aktivitäten. Parallel dazu hat auch die EU diesen Bereich aufgegriffen. Sie hat ihr Aufgabengebiet "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) intensiviert und dafür den vormaligen NATO-Generalsekretär Javier Solana als "Generalsekretär des EU-Rates und Hohen Vertreter für die GASP" eingesetzt. 1999 hat der Europäische Rat auf seinen Gipfeltreffen in Köln und Helsinki richtungsweisende Entscheidungen in der Sicherheitspolitik getroffen. Neben der GASP wird eine "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ESVP eingerichtet. In diesem Rahmen sind im März 2000 drei neue Gremien eingesetzt worden: ein "Sicherheitspolitisches Komitee", ein "Arbeitskreis militärischer Vertreter" als Vorläufer eines künftigen Militärausschusses und ein "Militärstab im Ratssekretariat der EU". Die WEU wird mit der EU verschmolzen. Bis 2003 soll ein "Europäisches Krisenreaktions-Korps" mit 60.000 Soldaten entstehen. Im Beschluss von Helsinki heißt es, man wolle "als Reaktion auf internationale Krisen EU-geführte militärische Operationen einleiten und durchführen". Von ausschlaggebender Bedeutung ist hierbei das Wort: "EU-geführt" - und keine Erwähnung der (US-geführten) NATO.
Europäische Bemühungen im Bereich Militär sind nicht Zukunftsmusik, wie es die vorstehend geschilderten völlig aktuellen Erwägungen aufzeigen, vielmehr gibt es schon Zusammenfassungen europäischer Streitkräfte. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einem Zusammenwirken europäischer Soldaten im Rahmen der NATO und damit unter dem Oberkommando der USA und eigenen europäischen Gemeinsamkeiten unter der Verfügungsgewalt der EU. Zu erwähnen ist das Euro-Corps. Der deutsche Zeitungsleser erfährt manche Gedanken aus den innerdeutschen Diskussionen über Ziele und Truppenstärke der Bundeswehr im Spagat zwischen Landesverteidigung und Interventionen in Krisengebieten.
Die USA sehen alle diese Bemühungen mit Sorgen. Sie verlangen die "3 D's". Es soll keine Abkoppelung von der NATO, wo die USA bestimmen, geben = no decoupling, es soll keine Verdoppelung der militärischen Strukturen geben, z.B. zwei Hauptquartiere (sowohl der NATO als auch davon getrennt der Europäer) = no duplication, und schließlich sollen die europäischen NATO-Mitglieder ohne EU-Mitgliedschaft nicht benachteiligt oder ausgegrenzt werden = no discrimination (damit könnte es dann einen EU-Alleingang nicht geben). Kernfrage ist: kann/darf die EU ohne Zustimmung der USA oder sogar gegen deren Willen handeln? Europa rührt sich und die USA kämpfen um ihren Führungsanspruch.
Nun wird die Diskussion über getrennte militärische Bemühungen auch von Seiten der USA her angeheizt. Sie wollen sich einen Schutzschild gegen Raketen errichten, die aus "Schurkenstaaten" auf Nordamerika abgefeuert werden könnten (Von dieser Bezeichnung wird inzwischen wieder abgesehen). Dieses "National Missile Defence" (NMS) erregt die Europäer. Sie würden nicht unter diesem Schutzschild liegen und könnten deshalb von potenziellen Angreifern gegen die USA als Geisel eingesetzt werden, so wie ein Bankräuber, der den Kassierer nicht direkt bedrohen kann, dann eben einem zufällig anwesenden Kunden die Pistole an den Kopf setzt.
Für NMS muss die Abrüstungsvereinbarung mit Russland, der ABM-Vertrag, verändert werden. Gibt es darüber keine Einigung, dann fällt dieser Vertrag und es kann durchaus eine neue Welle der Aufrüstung beginnen. Das würde auch für Europa aus Gründen seiner eigenen Sicherheit hohe Ausgaben und viele weitere Probleme bedeuten. Das früher einmal so einvernehmlich behandelte Thema der Sicherheit wird jetzt von mehreren Seiten aufgegriffen. Die USA und die EU beginnen, verschiedene Wege zu gehen.
Auch in den Bereichen der allgemeinen Politik und der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestehen unterschiedliche Auffassungen in den USA einerseits und der EU anderseits. Dabei ist die amerikanische Meinung nicht vorherrschend und ihr haben sich die Europäer nicht unterworfen. Dies betrifft viele einzelne Politikfelder. Hinsichtlich der Bedeutung der Vereinten Nationen betreiben die USA eine Schwächung durch Nichtzahlen der Beiträge, während die Staaten der EU die UN hochhalten. Einen Internationalen Strafgerichtshof lehnen die USA ab, die Europäer wollen ihn. Im Umweltschutz (Welt-Klima-Konferenzen) fehlt Übereinstimmung, ebenfalls im Datenschutz. Die US-Amerikaner sind Waffen-Fetischisten, eine undenkbare Sache in Europa. Sehr strittig zwischen Amerika und Europa ist die Zulässigkeit der Todestrafe. Es bestehen abweichende Grundeinstellungen im Jugendrecht (verurteilte Kinder versus deutsches Jugendstrafrecht), im Familienrecht einschließlich des Sorgerechts (für Kinder aus geschiedenen binationalen Ehen) und hinsichtlich zu beanstandenden Sexualverhaltens, von der Affäre Clinton/Lewinski bis zum Thema Abtreibung. In vielen Bereichen ist nicht abzusehen, dass Europa sich den amerikanischen Lösungen anpasst oder sogar sich unterwirft.
Die Lebensart der USA, ihre Zivilisation, strahlt erheblich aus nach Europa. Vieles wird unter dem Stichwort Lifestyle zusammengefasst. Größter gastronomischer Betrieb Deutschlands ist McDonald's, marktführend bei Hosen sind die aus den USA kommenden Jeans, die Unterhaltungsmusik wird von Amerika dominiert und kommt in seiner Sprache, in Englisch, zu den Konsumenten. Versuche mit Musik in anderen Sprachen ("neue deutsche Welle") waren nur kurzfristig erfolgreich. Das zeigt ein wesentliches Element der Vorherrschaft der amerikanischen Lebensart: sie wird bereitwillig angenommen. Die Akzeptanz ist hoch, beim Publikum und in der Politik. In diese Präferenz gerät eben auch die Sprache Amerikas, zum Lifestyle gehört es, Englisch zu sprechen. So ist es verständlich, dass die Schulministerien in Europa, auch in den deutschen Bundesländern, den Englischunterricht mit allen Kräften fördern.
Um im Vergleich EU gegen USA nicht bei den anspruchsvollen, großen Themen zu bleiben, soll noch ein Blick auf die "schönste Nebensache der Welt", den Sport, geworfen werden. Europa hat seine Lieblingssportarten, allen voran den Fußball. Diese Vorliebe teilt auch Südamerika. Fußballmeisterschaften sind Großereignisse, gerade auch Weltmeisterschaften, sie ziehen das Interesse wie die Olympischen Spiele auf sich mit einer Anhängerschaft von Millionen Menschen, und die USA stehen verständnislos daneben. Dafür haben die USA Sportarten wie Baseball, Basketball und American Football, die in Europa keine Freunde finden. Es gibt prinzipielle Unterschiede zwischen europäischen und amerikanischen Präferenzen im Sport, wobei die US-Sportarten vermehrt den körperlichen Einsatz fordern (American Football im Vergleich zum europäischen/südamerikanischen Fußball). Es ist aus den Medien (Zeitungen, Radio, insbesondere Fernsehen) nicht abzusehen, dass das amerikanische Sportverständnis nach Europa überschwappt, wenn es auch einzelne Interessenten für US-Sport gibt.
Europa ist ein Kontinent, der sehr stolz auf seine kulturelle Vielfalt ist und der sein Selbstbewusstsein hauptsächlich aus den vielen Jahrhunderten seiner kulturellen Entwicklung bezieht. Das antike Griechenland ist die Wiege der abendländischen Kultur, und genau auf sie geht auch die Kultur der USA zurück. Trotz dieser für Europa günstigen Ausgangslage steht auch dieser Bereich im Wettbewerb um die Vorlieben der Bürger. Die kulturellen Erzeugnisse der USA genießen oftmals den Vorzug, auch in Europa. Gegen Hollywood (den amerikanischen Film) hat es europäisches Filmschaffen schwer anzukommen. Der Oscar, der große Filmpreis in den USA, steht unangefochten an der Spitze und Filmfestspiele in Cannes oder in Berlin sind auch in der öffentlichen Meinung nachrangig. Das europäische Fernsehen ist voll von US-Filmen, i.d.R. sogar zu Recht, weil sie meist besser sind. Jedes Feuilleton einer guten Zeitung beweist dies.
Das Angebot in den Theatern verteilt sich auf europäische und amerikanische Autoren. Die Literatur-Nobelpreise erhalten Schriftsteller recht gleichmäßig um die Welt. Die Bestseller auf dem Büchermarkt, auch in Europa, stammen nur z.T. aus Übersee. Die Museen als Archive von Kunst und Kultur sind auf beiden Seiten des Atlantiks vorhanden. Alte Stücke haben sich die Europäer gesichert, als die USA noch ein kleiner Agrarstaat waren, aber bei neuen Kunstobjekten, die gekauft werden müssen, stehen die USA vorne, weil sie mehr Geld haben als Europa, das seine Vermögen in Kriegen verschleudert hat. Im Vergleich von Kulturen zeigt sich eher eine Ausgewogenheit, sodass die vorstehend für Bereiche wie Handel, Geld, Militär u.a. beschriebenen Bemühungen gleichzuziehen hier nicht stattfinden.
Die Anstrengungen Europas um Beachtung seiner Leistungen und ihr Herausstellen im Vergleich zu den USA werden jetzt mehr und mehr anerkannt. So hat das deutsche Magazin ,,Der Spiegel" soeben (in seiner Nr. 22/2000, Anfang Juni 2000) eine ausführliche Untersuchung zum Thema veröffentlicht. Eine der Zwischenüberschriften lautet: "Lust auf Hausgemachtes. Wie viele Europäer lösen sich die Deutschen von der totalen Fixierung auf die US-Kultur - und zeigen neues Selbstbewusstsein in TV, Pop und Literatur". Die Zeitschrift stellt auch fest: "Im Wettlauf der Kontinente holen die Europäer zügig auf." Einige Zeitungen benutzen das Wort "Aufholjagd".
Der Vorsprung der USA in den Wissenschaften ist recht deutlich. Sie führen in der Hochtechnologie. Dafür gibt es viele Gründe. Ehemalige Konkurrenten um diese Spitzenposition haben sich aus eigener Schuld aus dem Rennen geworfen, in erster Linie Deutschland, das seine Spitzenkönner selbst vertrieben hat, weil sie nicht in die damals gepflegte Rassenideologie passten. Europa ist durch seine Kriege zurückgeworfen worden. Jetzt herrschen in einigen Ländern, vor allem im größten EU-Land Deutschland, vielfache Bedenken: das Embrionenschutzgesetz verhindert seine Teilnahme an der Reproduktionsmedizin, die öffentliche Meinung ist gegen Gen-Veränderungen ("Gen-Manipulationen" genannt), aus der Atomtechnik zieht es sich zurück usw. Da ist es nur zu verständlich, dass ein Land mit maximaler individueller Freiheit auch für Forscher wie die USA an Europa vorbeiziehen kann.
Amerikanische Universitäten haben einen herausragenden Ruf, wenn dies auch nur auf wenige Institute höchster Qualität zutrifft, während das Niveau der Universitäten in Europa gleichmäßiger ist. Für einen europäischen Wissenschaftler bedeutet es, die "höheren Weihen" erhalten zu haben, wenn er oder sie mal einige Zeit an einer renommierten Universität in den USA studiert hat. Eine wissenschaftliche Karriere zum Lehrstuhlinhaber wird erheblich erleichtert, wenn der Kandidat auch universitären Unterricht in den USA nachweisen kann. Hier ist die alte Dominanz der USA über Europa noch weitgehend erhalten.
In der Reihe der aufgezeigten Beispiele fällt der Bereich Sprache heraus. Hier dominiert ganz eindeutig die englische Sprache und es gibt keinen Wettbewerb zwischen der Sprache der USA und der Sprache der EU - die es ja bekanntlich nicht gibt, also: Sprachen Europas. Eine wichtige Sprache des alten Kontinents, verwandt in der ganzen Welt, war Deutsch, das seinen ehemaligen Platz vollständig geräumt hat (durch eigene Schuld, sein NS-Regime). Französisch blieb eine der zwei Diplomatensprachen neben Englisch, aber seine Bedeutung ist ganz deutlich auf dem Rückzug. Russisch, ebenfalls eine europäische Sprache, ist international nicht mehr wichtig. Englisch wird nicht deshalb gesprochen, weil das EU-Mitglied Großbritannien eine bedeutende Großmacht wäre, sondern weil es die Sprache der USA ist, wie bereits erörtert wurde.
Umfang und Bedeutung von Englischkenntnissen werden immer wieder in den Medien und in Fachbüchern dargestellt. Die Augsburger Professoren Finkenstaedt und Schröder haben dies in "Sprachen im Europa von Morgen" mit aufschlussreichen Zahlen gemacht. Ihre Untersuchung stammt von 1990, sie wurde 1992 von Langenscheidt herausgegeben. In dem Jahrzehnt, das seitdem vergangen ist, ist der Umfang der Englischkenntnisse nach allen Berichten weiter gestiegen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Sprache der USA auch in der EU das maßgebliche Mittel der grenzüberschreitenden Verständigung ist.
Es "ist" so, aber bleibt es auch so? Vorhersagen sind verständlicherweise nicht möglich, aber eine laufende Entwicklung kann schon mal extrapoliert werden. Es ist aufgezeigt worden, dass nach einer Nachkriegszeit mit der unbestrittenen Dominanz der USA und damals einer freiwilligen Unterordnung Europas jetzt die gegenseitigen Positionen der USA und der EU deutlicher hervortreten und dass dabei Europa nicht mehr in allen Bereichen auf der zweiten Stelle steht. Vielmehr sind oft europäische Bestrebungen festzustellen, sich von amerikanischer Vorherrschaft freizumachen und seine eigenen Problemlösungen voranzubringen.
Da das in vielen der aufgezeigten Gebieten der Fall ist, kann durchaus auch der Bereich einer internationalen aber neutralen Verständigungssprache aus der Dominanz des Englischen herausfallen. Dann kann auch das Anliegen von Esperanto einen neuen Anstoß erfahren. Man muss aber auch feststellen, dass Unabhängigkeitsbemühungen sehr wohl mit einem Beibehalten der aufgedrückten Sprache vereinbar sind. Das war häufig zu beobachten, vor allem bei Kolonialsprachen (Beispiel Indien), auch im Fall von Irland, von dem seine ursprüngliche Sprache nicht in die EU eingebracht sondern Englisch angenommen wurde, sogar von den Kämpfern um Loslösung von Großbritannien.
1) Benannte Bücher in der Reihenfolge ihrer Erwähnung:
- Jespersen, Otto (1929): ,,Interlinguistik - eine neue Wissenschaft". In: Haupenthal, Reinhard (Hrsg.) (1976): Plansprachen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 148-162.
- Blanke, Detlev (1985): Internationale Plansprachen. Eine Einführung. Berlin: Akademie-Verlag, 408 S.
- Wüster, Eugen (1955): ,,La terminoj ,esperantologio' kaj ,interlingvistiko'". In: Esperantologio (Kopenhagen) I, Nr. 4, 209-214.
- Eco, Umberto (1994): Die Suche nach der vollkommenen Sprache. München: Beck, 388 S.
- Finkenstaedt, Thomas/Schröder, Konrad (1992): Sprachen im Europa von Morgen. Berlin und München: Langenscheidt, 58 S.
2) Periodika:
- Der Spiegel
- Europäische Zeitung
3) Zeitungen:
- Frankfurter Allgemeine Zeitung
- Die Welt