Kimura Goro C.
Intentionale Eingriffe in den Sprachgebrauch - Perspektiven und Probleme einer umfassenden Theoriebildung
Resumo
Intencaj intervenoj en lingvouzon - perspektivoj kaj problemoj de ampleksa teoriformado
Lingvajn movadojn, kiuj celas intence influi/anĝi lingvouzon, oni ofte rigardas kiel specialajn, se ne esceptajn kazojn en la homa lingva aktivado. La atoro de tiu ĉi artikolo tamen atentigas, ke intenco apartenas al esencaj ecoj de la ĉiutaga lingvouzo. Serĉante direkton por integri la intencan aspekton en ĝeneralan teorion pri homa lingvouzo, kelkaj teorioj kiuj inkludas tiun aspekton estas prezentataj kaj komparataj. Pritraktataj estas jenaj konceptoj: 'prilingva higieno', 'lingva manaĝado' kaj 'lingva ideologio'.
Abstract
Conscious Interventions in Language Use - Perspectives and Problems in Forming a Comprehensive Theory
Conscious interventions in language use, such as those that planned language or minority language movements, are often regarded as unusual or exceptional phenomena removed from normal language behaviour. This study, in contrast, advances the claim that conscious interventions form an essential part of everyday language use. Searching for ways to integrate the conscious aspect into a general theory of language use, this study presents and compares several theoretical concepts of conscious intervention, among them 'verbal hygiene', 'language management' and 'language ideology'.
Bewusst geschaffene Sprachen wie Esperanto werden oft als "künstliche Sprachen" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist jedoch eher missverständlich als aufklärend. 1 Als Alternative steht uns u.a. die Bezeichnung "Plansprache" zur Verfügung.2 Dadurch wird die eigentliche Charakteristik dieser Sprachen, nämlich ihre plangemäße Entstehung, klargestellt.
Jedoch bekommen diejenigen, die sich einer Plansprachenbewegung bzw. -gemeinschaft anschließen, weiterhin nicht selten die "Künstlichkeit" ihres Unternehmens vorgeworfen. Bei diesem Vorwurf handelt es sich oft nicht mehr um die "Künstlichkeit" der Sprache an sich. Dies lässt sich dadurch ersehen, dass auch andere Sprachbewegungen, wie z.B. Minderheitensprachenbewegungen oder feministische Sprachbewegungen mit dem Attribut "künstlich" bezeichnet werden. 3 Daraus wird klar, dass es hier nicht um das Sprachsystem, sondern um die Art geht, wie man sich mit der Sprache beschäftigt. Der bewusste Eingriff in den Sprachgebrauch wird hier als "künstlich", also "unnatürlich", bezeichnet und vom "natürlichen" Sprachgebrauch unterschieden. Nachdem die unfruchtbare Dichotomie der "künstlichen" vs. "natürlichen" Sprachen prinzipiell aufgehoben ist, stehen wir vor der Herausforderung, uns dem soziolinguistischen Aspekt der Dichotomie zuzuwenden. Denn eine Aufstellung von "künstlichen" und "natürlichen" Sprachhandlungen gibt wenig Sinn, wenn man bedenkt, dass Sprache kein Naturereignis ist, sondern als gesellschaftliches Phänomen existiert und Teil des menschlichen zielbewussten Handelns ist. Alle Sprachhandlungen tragen mehr oder weniger bewusst zur Stabilisierung oder Veränderung von Normen im Sprachgebrauch bei.
Um also aus einer dichotomischen Sichtweise in Bezug auf Intentionalität herauszukommen, brauchen wir ein Paradigma, das einen mehr oder weniger absichtlichen Eingriff in den Sprachgebrauch als wesentlichen Bestandteil sprachlicher Handlungen in einen theoretischen Rahmen explizit einbaut.
Der bewusste Eingriff in den Sprachgebrauch wurde bisher in der Soziolinguistik vorwiegend im Bereich der Sprachplanung behandelt. Im Folgenden soll zuerst auf die Grenze des herkömmlichen Sprachplanungskonzepts hinsichtlich der oben genannten Dichotomie hingewiesen werden. Anschließend werden einige theoretische Ansätze diskutiert, die diese Unzulänglichkeit überwinden könnten. 4
Die beachtliche Entwicklung der Disziplin der Sprachplanung in den letzten Jahrzehnten hat wesentlich dazu beigetragen, solchen Sprachauffassungen entgegenzuwirken, die behaupten, dass bewusste menschliche Eingriffe unmöglich seien oder dem "Wesen" der Sprache widersprächen. Jedoch werden in den geläufigen Paradigmen der Sprachplanung sprachplanerische Tätigkeiten als gesonderte Aktionen vom alltäglichen Sprachgebrauch unterschieden. So charakterisieren z.B. Kaplan/Baldauf (1997: 3), die auf der Erkenntnis der bisherigen Forschungen aufbauend eine umfassende Theorie der Sprachplanung anstreben, Sprachplanung als absichtlich (deliberate) und zukunftsorientiert (future oriented ). Diese Abgrenzung der Sprachplanung innerhalb der menschlichen Sprachhandlung dient in erster Linie der Abgrenzung eines Forschungsfeldes, scheint jedoch eine unbewusste und spontane Sprachhandlung vorauszusetzen, die einer Sprachplanung gegenübergestellt wird: Wenn die Sprache nicht ihrem "Selbstlauf" überlassen werden soll, findet Sprachplanung statt. Man könnte meinen, dass unter diesem Konzept Sprache als so etwas wie ein Fluss aufgefasst wird, dessen natürlicher Lauf nach Notwendigkeit "künstlich" reguliert werden kann (und soll). Das Konzept der Sprachplanung, das sich zwar den intentionalen Eingriffen in den Sprachgebrauch zuwendet, absichtliche Eingriffe jedoch als spezifische Handlungen vom alltäglichen Sprachleben abtrennt, trägt somit - wohl unbeabsichtigt - dazu bei, solche Betrachtungsweisen, z.B. Sprachenbewegungen als "künstlich" zu betrachten, zu untermauern. Es wäre zu fragen, ob eine Theorie der Sprachplanung, die absichtliche Eingriffe nicht mit der alltäglichen "normalen" Sprachpraxis in Zusammenhang bringt, nicht die Dichotomie "künstlich" vs. "natürlich" indirekt unterstützt.
Als erstem theoretischen Ansatz, der neue Perspektiven öffnet, wollen wir mit dem Konzept "Sprachhygiene" (verbal hygiene) beginnen, mit dem sich Deborah Cameron (1995: 5; 18-23; 215f.) direkt gegen die naturalistische Sprachauffassung wendet. Sie ironisiert die Anwendung der Bezeichnung "natürlich" auf die Sprache, indem sie argumentiert, dass man dann, wenn ein Phänomen "natürlich" ist, weil es mehr oder weniger in allen Sprachgemeinschaften zu beobachten ist, auch die normativen (präskriptiven) Regulierungen, also menschliche Eingriffe, als "natürlich" bezeichnen müsse. Weiter kritisiert Cameron (1995: 21) den u.a. von vielen Linguisten vertretenen Gedanken, dass bei der Sprachwandlung Spontaneität der Normalfall sei und absichtliche Intervention eher ein Sonderfall.
Stattdessen geht sie davon aus, dass Menschen nicht einfach die Sprache benutzen, sondern die Sprache kommentieren, die sie benutzen. Cameron fasst solche Sprachhandlungen, die aus dem Drang hervorgehen, die Sprache zu verbessern oder zu "reinigen", unter dem Begriff "Sprachhygiene" zusammen und fordert die naturalistische Sprachauffassung heraus, indem sie auf die Möglichkeit hinweist, dass Sprachhygienen so grundlegend für den Sprachgebrauch sind "wie Vokale für die phonetische Struktur" (Cameron 1995: 1). Sie schreibt: "..." (1995: 21f.) Die Studie der Sprachhygiene, so Cameron (1995: 21f.), bietet eine brauchbare Korrektion zu den naturalisierenden Tendenzen, die vernebeln, wie manche Veränderungen eintreten. Die Forschung der Sprachhygiene zielt nach Cameron erstens darauf, die Sprachhygienen in der Sprachpraxis zu dokumentieren, und zweitens, deren Bedeutung für die Handelnden sowie für das weitere Umfeld, in dem diese Handlungen geschehen, zu verstehen (Cameron 1995: 30).
Das Interessante an dem Begriff "Sprachhygiene" ist nicht, dass hier Wertschätzungen über die Sprache behandelt werden - die Werthaftigkeit der Sprache gehört wohl schon zur Selbstverständlichkeit in der Soziolinguistik - , sondern dass intentionale und aktive Eingriffe als wesentlicher Bestandteil alltäglicher Sprachpraxis betrachtet werden. So schreibt Cameron (1995: 2): "..." (sagt, die in ihrer eigenen Studie untersuchten Sprachhygienen zum "guten Stil", zur Schulgrammatik, zur "politischen Korrektheit" und zum Training für effektive Kommunikation mögen ausgefallen, abgelegen von gewöhnlichen metalinguistischen Praxen scheinen, sie beruhen jedoch auf derselben Basis). So wird im Ausblick ihres Buches sogar das Klingonische, eine fiktive Sprache aus der Fernsehserie "Star Treck", die auch in der realen Welt "Sprecher"/Lerner gefunden hat, als ernsthaft zu untersuchendes Beispiel genannt. 5 Und das Wichtige dabei ist m.E. weniger die Tatsache an sich, dass die sozialen Ursachen jener "ausgefallenen" Phänomene zu ergründen versucht werden, als dass die Frage aufgeworfen wird, worin sich diese ungewöhnlich scheinenden Interventionisten von uns selbst unterscheiden. (Machen wir nicht im Grunde alle mehr oder weniger dasselbe!?) Cameron (1995: 9) deklariert nämlich, wir seien alle Verbale Hygienisten. So wird die oben genannte Auffassung der Sprache als etwas "Natürliches" auch als eine Art Sprachhygiene bloßgestellt (Cameron 1995: 22).
Dieser anregende theoretische Ansatz von Cameron verändert den Status von intentionalen Spracheingriffen vom Sonderfall zum Normalfall und rückt sie in den Mittelpunkt der Diskussion. Dieses Konzept hat jedoch für unsere Fragestellung einen Haken: Cameron sieht zwar in jeder kommunikativen Tat ein Potential der Sprachhygiene, begrenzt jedoch den Umfang der zu erforschenden Sprachhygienen de facto auf explizit metasprachliche Sprachhandlungen. 6 Mit anderen Worten: Der Begriff "Sprachhygiene" bringt jene Handlungen, die sich in ihrer zentralen Aussage für oder gegen eine bestimmte Sprachform wenden, nicht klar in Zusammenhang mit den meisten alltäglichen Sprachhandlungen, die bestimmmte Sprachformen weniger direkt thematisieren, jedoch trotzdem einen bewussten Umgang mit der Sprache enthalten können.
Als ein theoretischer Rahmen, der nicht nur besonders sprachbezogene Sprachhandlungen einbezieht, kann der Begriff "Sprachmanagement" (language management) genannt werden, der u.a. von Björn Jernudd (1993) und Jiři Neustupný (1995) vorgeschlagen wird.7 Dieser Ansatz kann als eine Art Antithese zur herkömmlichen "Sprachplanung" verstanden werden. Nach Jernudd liegt der Unterschied darin, dass das Sprachmanagement-Modell zu erklären versucht, wie Sprachprobleme aus dem Sprachgebrauch der Menschen entstehen, d.h. aus dem Diskurs, im Gegensatz zu den Ansätzen unter Joshua A. Fishmans Definition der Sprachplanung, die die Nennung von Sprachproblemen durch Entscheidungsträger, z.B. durch Regierungen, als axiomatischen Ausgangspunkt hat (vgl. Jernudd 1993: 133). Das Konzept des Sprachmanagements dreht also die Reihenfolge der Betrachtung um und fängt bei der konkreten Sprachhandlung in einer konkreten Situation an. Auch der Begriff "Sprachproblem" bekommt eine eigene Prägung: "Sprachproblem ist keine abstrakte Kategorie, sondern, das, was konkrete Menschen in einem konkreten Diskurs erleben." (Neustupný 1995: 77; Übersetzung - K.G.C.)
In der Theorie des Sprachmanagements spielt der Prozess eine große Rolle. Die Prozesse des Sprachmanagements sind nach Neustupný (2000: 8) nicht unzählig und von Mal zu Mal völlig verschieden, sondern lassen sich in bestimmten Paradigmen darstellen. Der grundlegende Rahmen eines Sprachmanagement-Prozesses - wobei das "Sprachproblem" mit der Bemerkung einer Abweichung von der Norm anfängt - sieht folgendermaßen aus (vgl. Neustupný 1995: 70f., 88; 1997: 30f.; 2000: 7):
Abweichung von der Norm ð Bemerkung durch die Beteiligten ð Bewertung der Abweichung ð Entscheidung der Korrektion des Sprachproblems ð Implementierung der Korrektion.
Anhand solcher Prozesse soll das Sprachmanagement verschiedener Ebenen, vom Individuum bis zu Regierungen, beschrieben werden. Nicht nur geplante Eingriffe in die Sprache, die in die Kategorie der Sprachplanung fallen, oder Diskurse der "Politischen Korrektheit", die als Ausdruck "Verbaler Hygiene" genannt werden können, sondern auch Entscheidungen zur Stil- und Wortwahl in der Konversation, die bei der "Sprachhygiene" eher an den Rand geschoben zu werden scheinen, werden in diesem theoretischen Rahmen zu Subkategorien des weitgefächerten Spektrums von Sprachmanagement (vgl. Jernudd 1993: 140).
Wichtig für unsere Fragestellung ist, dass, wie aus dem obigen Modell ersichtlich, ein bewusster Eingriff für jede Situation, wo ein Sprachproblem entsteht, vorausgesehen wird. Jernudd (1993: 134) geht davon aus, dass die Menschen nicht den Gebrauch einer sprachlichen Eigenschaft ändern werden, ohne dass die Individuen der betroffenen Spracheigenschaft Aufmerksamkeit schenken, auch wenn nur im Kurzzeitgedächtnis. Menschliche Eingriffe in die Sprache werden somit in den sprachlichen Alltag eingebettet.
An diesem theoretischen Modell wurde jedoch kritisiert, dass es, obwohl es anstrebt, die Analyse bei der konkreten Situation anzufangen, bei dem Prozess eine gewisse "Norm" vorausgesetzt. Wie Yamada (1999) bemerkt, scheint diese Theorie davon auszugehen, dass die Beteiligten eine Norm gemein haben, die schon vor der konkreten Situation existiert. Dagegen argumentiert Yamada (1999: 63) vom Standpunkt der Ethnomethodologie aus, dass es keine "universelle Norm" vor der konkreten Situation gebe, und schlägt vor, die Konstruktion der Norm in der gegebenen Situation in den theoretischen Rahmen einzubauen. So kann die Analyse wirklich von der Situation aus beginnen.
Der Hinweis auf die (Re-)Konstruierung bzw. Modifikation der Norm in der konkreten Situation zeigt eine begrüßenswerte Entwicklungsrichtung dieser Theorie an. Ein solcher Situations-Reduktionismus, wie ihn Yamada vertritt, kann jedoch die Gemeinsamkeit der Normen in den verschiedenen Situationen nicht erklären, und läuft Gefahr, die reale Präsenz der gesellschaftlichen Macht, die die Möglichkeiten der konkreten Situation einschränkt, unsichtbar zu machen und zu verharmlosen. 8 Von Nöten wäre ein Begriff, der die Existenz einer Norm auf der Macro-Ebene samt ihrer Bedeutung für die konkrete Situation (Micro-Ebene) erfassen kann.
Als ein solcher Begriff, der die Macro- und Micro-Ebenen verbinden kann (vgl. Woolard 1998: 27; Gal 1998: 318), wird der Begriff "Sprachideologie" vorgeschlagen. Nach Woolard soll dieser Begriff nicht die Ideologien der Sprache von anderen Ideologien abschneiden, sondern auf die "unvermeidliche Bedeutung der ideologischen Dimension" (Woolard 1998: 4) aufmerksam machen.
Sprachideologien werden definiert als "Representationen, die explizit oder implizit die Intersektion von Sprache und Mensch in einer sozialen Welt bilden" und als "vermittelndes Bindeglied zwischen sozialen Formen und Sprechformen" verstanden (Woolard 1998: 3).
Der Sinn, diesen Begriff aufzustellen, liegt darin, die Möglichkeit menschlichen Eingriffs weder auf das Individuum bzw. auf die Situation zu reduzieren, noch von gesellschaftlichen Strukturen völlig abhängig zu machen. Wie Woolard (1998: 22) schreibt, sind sprachliche Ideologien keine automatische Widerspiegelung von sozialen Erfahrungen, aus denen sie hervorkommen, sondern können als - eine Eigendynamik entwickelnde -Struktuierungen von menschlichen sprachbezogenen Erfahrungen aufgefasst werden. Demnach sind es Ideologien, die bestimmend darauf einwirken, was als Norm gilt, und was bei konkreten Situationen als "Sprachproblem" (im Sinne der Sprachmanagement-Theorie) empfunden wird, und was nicht.
Allerdings sind noch einige Streitpunkte zu klären, um diesen Begriff als brauchbaren Terminus annehmen zu können. Als erstes kommt die Frage nach der Beziehung von Ideologie zu "Wahrheit". 9 Es gibt einerseits die Tendenz, Ideologie als "falsches Bewusstsein" aufzufassen, das die Erkenntnis der Wahrheit verschleiert. Ideologie ist hier ausdrücklich negativ gemeint. Andererseits besteht eine "neutrale" Haltung zur Ideologie, wonach alle "Wahrheiten" durch Ideologien konstruiert werden. Nach dieser Auffassung wird Ideologie als "eine der immanenten und notwendigen Voraussetzungen menschlicher Handlungen" (Silverstein 1998: 124) verstanden. Für unser Vorhaben, menschliche Eingriffe umfassend zu theoretisieren, ist letzteres Konzept vorzuziehen, bei dem keine bestimmte Sprachhaltung - wie z.B. die oben genannte "naturalistische" Sprachauffassung oder auch die Sprachauffassung einer Plansprachenbewegung - von Anfang an als "wahr" bezeichnet wird.
Ein zweiter Streitpunkt ist die Frage, wo die Sprachideologie zu suchen/finden ist. Ist Ideologie etwas explizit Ausgedrücktes, oder ist sie implizit in den Sprachhandlungen eingebaut? In Wirklichkeit ist weniger von einem Gegensatz, sondern eher von einer graduierenden Explizitheit zu sprechen, wie es die verschiedenen Schwerpunkte der Autoren im Sammelband zur Sprachideologie illustrieren. 10 So können Ideologien sowohl von Texten als auch von konkreten Situationen abstrahiert werden. M.E. kommt es vor allem darauf an, die Ideologie als struktuierte und einigermaßen dauerhafte eigene Dimension von den einzelnen Sprachhandlungen zu trennen, mit anderen Worten, nach Faktoren zu suchen, die weder auf die einzelnen Situationen noch auf die sozialen Strukturen zu reduzieren sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass "Sprachhygiene" zwar den großen Vorzug hat, absichtliche Intervention am meisten in den Mittelpunkt zu rücken, jedoch in Bezug auf eine umfassende Theoriebildung "Sprachmanagement" einen weiteren Horizont hat. Die einzelnen Situationen und Ebenen, auf denen das Sprachmanagement stattfindet, müssen aber jeweils in ihrem sprachideologischen Umfeld betrachtet werden.
Auf Grund dieser Perspektive ergeben sich folgende Aufgaben zur theoretischen Präzisierung. Erstens muss nach dem Entstehen von Ideologien gefragt werden. Wie kommt es zur Struktuierung von Ideologien, die sich dann als soziale Fakten konstituieren? Und zweitens ist zu fragen, wie bestimmte Ideologien an Macht gewinnen, und wie sie einschränkend oder leitend auf die Prozesse der einzelnen Situationen einwirken? Diese Fragen können wohl nur anhand konkreter Forschungen beantwortet werden. 11
Abschließend noch eine Bemerkung in Bezug auf die Interlinguistik, die sich u.a. mit Plansprachen beschäftigt. Im Lichte einer Theorie menschlichen Eingreifens in die Sprache, die die Intentionalität voraussetzt, wären Plansprachen, die wesentlich auf bewusste Eingriffe aufbauen, nicht im Kontrast zum allgemeinen sprachlichen Alltag, sondern als besonders markantes Beispiel menschlichen Sprachhandelns zu betrachten. Und ihrer Erforschung kommt mit diesem Paradigmenwechsel eine wichtige Rolle zu, nämlich Spektrum und Struktur eines - zu Unrecht unterbeachteten - wesentlichen Aspekts menschlichen Sprachgebrauchs, die intentionelle Intervention, besonders klar aufzuzeigen, und somit zum allgemeinen Sprachverständnis beizutragen.
Blanke, Detlev (1985): Internationale Plansprachen. Eine Einführung. Berlin: Akademie-Verlag, 408 S.
-(1987): "The Term 'Planned Language'". In: Language Problems & Language Planning 11, 335-349.
Cameron, Deborah (1995): Verbal Hygiene. London/New York: Routledge, 264 S.
Gal, Susan (1998): "Mutliplicity and Contention among Language Ideologies. A Commentary". In: Schieffelin, Bambi B. et al., 317-331.
Jernudd, Björn H. (1993): "Language Planning from a Management Perspective. An Interpretation of Findings". In: Jahr, E.H. (Ed.): Language Conflict and Language Planning. Berlin: Mouton de Gruyter, 133-142.
Kaplan, Robert B./Baldauf, Richard B. Jr. (1997): Language Planning. From Practice to Theory. Cleveland [etc.]: Multilingual Matters, 403 S.
Neustupný, Jiři V. (1995): "Nihongo kyoiku to gengokanri" ['Japanischunterricht und Sprachmanagement']. In: Handai Nihongo Kenkyu 7, 67-81.
-(1997): "Gengokanri to Komyunitigengo no syomondai" ['Sprachmanagement und Probleme lokaler Sprachen']. In: Kokuritu Kokugo Kenkyuzyo (Hrsg.): Tagengo tabunka komyuniti no tame no gengokanri . Tokyo: Bonzinsya, 21-37.
-(2000): "21seiki ni mukete no gengoseisaku no riron to zissen" ['Theorie und Praxis der Sprachpolitik für das 21ste Jahrhundert']. Nihon gengoseisaku kenkyukai daiikkai happyokai kadai koen 2000.4.22, 1-14.
Schieffelin, Bambi B./Woolard, Kathryn A./Kroskrity, Paul V.(1998): Language Ideologies. Practice and Theory . New York/Oxford: Oxford University Press, 338 S.
Schlieben-Lange, Brigitte (1978): Soziolinguistik. Eine Einführung. (Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer, 152 S.
Silverstein, Michael (1998): "The Uses and Utility of Ideology. A Commentary". In: Schieffelin Bambi B. et al., 123-145.
Tanaka, Kacuhiko (1993): Gengogaku towa nani ka ['Was ist Linguistik?']. Tokyo: Iwanami, 227 S.
Tollefson, James W. (1999): Planning Language, Planning Inequality. Language Policy in the Community . 6. Auflage. London/New York: Longman, 234 S.
Woolard, Kathryn (1998): "Introduction. Language Ideology as a Field of Inquiry". In: Schieffelin Bambi B. et al., 3-47.
Yamada, Tomiaki (1999): "Esunomesodorozi kara mita 'gengomondai'" ['"Sprachprobleme" aus der Sicht der Ethnomethodologie']. In: The Japan Journal of Language and Society, Vol 2. No.1, 59-69.
Yoshida, Naoko (1997): The Esperanto Movement: A Case of Collective Verbal Hygiene for a Fairer Communication Order . Master Thesis. University of Essex [unveröffentlicht] (Zusammenfassung in: Mitui, Takasi (Hrsg.)(1998): Huroo Tyoo Dayori 3, 37-39).
Vgl. Blanke (1985: 26ff.; 1987).
So plädiert z.B. auch in Japan, wo dieser Terminus noch nicht verbreitet ist, Tanaka (1993: 210) in seinem Einführungsbuch zur Linguistik, auf Blanke (1985) hinweisend, für diesen Terminus.
Z.B. wird in Bezug auf Minderheitensprachen von einer "künstlichen Aufrechterhaltung" im Gegensatz zur "natürlichen Assimilation", oder in Bezug auf feministische Sprachreformvorschläge von einer "künstlichen Einmischung" in "natürliche Sprachentwicklungen" gesprochen.
Hier wird weniger ein vollkommener Überblick bisher existierender Theorien der Sprachhandlung angestrebt, als eine vergleichende Betrachtung einiger neuerer Theorien, die nach Ansicht des Verfassers besonders die Absichtlichkeit in der Sprachhandlung berücksichtigen.
Zum Verständnis von Theorie vgl. Schlieben-Lange (1978: 105): "Eine Theorie der Soziolinguistik kann also nicht gedacht werden als ein festes Gefüge von Sätzen, sondern nur als ein universeller kategorischer Rahmen für die Behandlung des Verhältnisses von Sprache und Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung der Kategorie des Sinns. Dieser kategorische Rahmen muß, im Gegensatz zu den bisherigen Theorisierungsversuchen, nicht nur zwei korrelierende Bezugssysteme, nämlich Gesellschaft und Sprache, enthalten, sondern drei solche Bezugssysteme, nämlich gesellschaftliche Basis/Norm- und Wertungszusammenhänge/Sprache , weil sonst die Gefahr besteht, daß die im Begriff der Gesellschaft impliziten Wertungsphänomene nicht in den Blick kommen."
Vgl. Cameron (1995: 216f.). In Bezug auf Esperanto schreibt sie: "It is difficult to imagine a more triumphant assertion of agency than a proposal to invent a new language (e.g. Esperanto)" (ib., S. 18). Die Motivation jedoch verkennt sie völlig. Sie stellt sich einen 'Mr Crank' vor, der wie folgt beschrieben wird: "the modern (as opposed to postmodern) rationalist who is animated by a desire to perfect linguistic systems". Und sie meint: "If a postmodern response to global linguistic diversity is a minority language rights charter, Mr Crank's answer is more likely to be Esperanto." (ib., S. 29). Yoshida (1997; 1998), die nach dem Konzept von Cameron vorgeht, macht auf Grund ihrer Analyse esperantosprachiger Medien auf den Irrtum von Cameron aufmerksam und weist auf die Gemeinsamkeiten hin, die Esperanto mit anderen Sprachenrechtsbewegungen teilt.
Als Sprachhygiene wird im englischen Sprachraum z.B. das Folgende genannt: Zugehörigkeit zu einer Rechtschreibreform-, Dialektebewahrungs- oder Kunstsprachen[sic!]gesellschaft, Entwurf von Richtlinien für eine nicht-sexistische Sprache, oder Stellungnahme gegen solche Richtlinien. Aber auch Schulkinder, die den Akzent ihres Klassenkameraden nachmachen und sich über ihn belustigen (vgl. Cameron 1995: 9).
Cameron bezeichnet language management in ihrem Buch wie folgt: "a broader term than 'language planning', and one whose range of reference is comparable in many respects with my own 'verbal hygiene'" (Cameron 1995: 27).
Siehe die Diskussion in Tollefson (1999), besonders S. 22-42.
Vgl. die Diskussion bei Woolard (1998: 7). Woolard nennt die Haltung zu diesem Thema "fundamental intellectual divide".
Vgl. Woolards Einführung (S. 9f.). Silverstein wie auch Gal, die die einzelnen Arbeiten des Sammelbandes zusammenfassend kommentieren, scheinen Ideologie sowohl als implizit als auch explizit zu verstehen (vgl. Silverstein 1998: 136; Gal 1998: 319).
Der Verfasser plant z.Zt. eine Untersuchung zur Intentionalität sprachlicher Handlungen anhand einiger europäischer Minderheitensprachen, bei denen bisher die Dichotomie "Künstlichkeit" vs. "Natürlichkeit" relativ unreflektiert in weitem Maße verwendet wird. U.a. ist ein Vergleich des Cornischen in Cornwall (Großbritannien), das sich als wiederbelebte Sprache fast ausschließlich auf der Sprachbewegung aufbaut, und des Obersorbischen in den sorbisch-katholischen Dörfern der Lausitz (Deutschland), das im Gegensatz zum Cornischen hauptsächlich im dörflichen Alltag verankert ist, vorgesehen.